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EAA-Energie Talk: Gasversorgung Europa-Quo Vadis?

Innerhalb weniger Jahre hat sich Europas Nachfrage nach Gas um 180 Grad gedreht. Vergangenes Jahr ist der Gasverbrauch in Österreich auf ein 20-Jahres-Tief gesunken. Viele Jahre galt Gas für Europa als jene Brückentechnologie, die den Umstieg auf erneuerbare Energieträger wie Wind oder Sonne ermöglichen sollte.

"Gasversorgung Europa - Quo Vadis?" Diese Frage stand Dienstagabend beim Energie Talk der EAA-ENERGIEALLIANZ Austria im Vienna Twin Tower im Mittelpunkt einer hochkarätigen Diskussion. Dr. Harald Stindl, Geschäftsführer GAS CONNECT AUSTRIA GmbH, Dr. Kirsten Westphal, Senior Associate, Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sowie Univ.-Prof. Dr. Johannes Pollak, Abteilungsleiter für Politikwissenschaften am IHS und Professor an der Webster University in Wien, haben über die Zukunftsperspektiven des Energieträgers Gas diskutiert.

Zwtl.: Österreich als Gasdrehscheibe

Die GAS CONNECT AUSTRIA GmbH, eine 100-prozentige Tochter der OMV, ist für den Betrieb und Ausbau eines leistungsstarken Erdgas-Hochdrucknetzes in Österreich verantwortlich. Wichtig ist dabei der Verteilknoten im niederösterreichischen Baumgarten, wo ein großer Teil der russischen Erdgasexporte nach Westeuropa ankommt und in das österreichische Leitungsnetz eingespeist beziehungsweise in andere europäische Länder weitertransportiert wird. Russland hat über viele Jahre hinweg die Infrastruktur Richtung Westen aufgebaut. Durch die aktuellen geopolitischen Entwicklungen werden andere Absatzmärkte wie etwa Indien oder China mittelfristig für Russland interessant.

Dr. Harald Stindl, Geschäftsführer GAS CONNECT AUSTRIA GmbH, erklärte beim Energie Talk, dass die vergangenen Jahre "durch eine geringere Nachfrage und einen geringeren Gasverbrauch gekennzeichnet waren", aber auch durch einen starken Anstieg der Gashandelsaktivitäten am österreichischen Hub und eine gute Auslastung des Fernleitungsnetzes durch kurzfristige Transporte. Grund für den lokalen Nachfragerückgang waren vor allem mildere Temperaturen und der größere Einsatz erneuerbarer Energieträger. Die Umstellung des österreichischen Marktmodells und die seit Jänner 2013 neuen Entry/Exit-Tarife erhöhten die Attraktivität des österreichischen Handelsplatzes. Die aktuelle Gasanliefersituation in Baumgarten sei nach Lieferkürzungen im Winter und in den vergangenen Monaten nun wieder im Rahmen der gewohnten höheren Mengen: "Momentan kommt über die Transitleitung wieder mehr Gas als noch vor zwei Monaten in Baumgarten an", sagte Stindl: "Die Versorgungssicherheit war dank der umfangreichen Speicherkapazitäten in Österreich, dem Import aus anderen Quellen und der Flexibilität des österreichischen Erdgasnetzes den ganzen Winter hindurch gegeben." Wie sich die generelle Nachfrage nach Erdgas in Europa in Zukunft entwickelt, zeichnet sich laut Stindl "schon heute ab: Es ist zu befürchten, dass sich der Gaspreis auch in den kommenden Jahren nicht so entwickeln wird, dass Gas zur Stromerzeugung verwendet werden kann. Dennoch unternimmt die Industrie alles, um den europäischen Handel und Transport von Erdgas so attraktiv wie möglich zu machen wie zum Beispiel durch die zügige Veröffentlichung europaweiter Netzkodizes."

Zwtl.: Politik soll "Energiekarte" stecken lassen

Dr. Kirsten Westphal von der Stiftung Wissenschaft und Politik thematisierte geopolitische Fragen: "Politische Entscheidungsträger der EU streben eine zunehmende Reduzierung fossiler Energieimporte aus Russland an. Gleichzeitig ist aber derzeit zu beobachten, dass Russland günstiges Gas in großen Mengen liefert, weil es seine Marktanteile in Europa verteidigen möchte. Russland braucht diese Einnahmen aus Gas- und Ölverkäufen nach Europa auch. Und auch Europa braucht Russland." Die in Europa benötigten Gasmengen könnte die EU laut Westphal auch nicht kurzfristig ersetzen.

Diese starke wechselseitige Abhängigkeit sollte die politischen Akteure ermuntern, ökonomische Vernunft an den Tag zu legen: "Politische Konflikte sollten die Wirtschafts- und Energiebeziehungen nicht überschatten. Die handelnden Personen in der Politik sollten aufhören, ständig die Energiekarte auszuspielen, wenn sie aus der aktuellen Eskalationsspirale herauszukommen möchten", sagte die Politologin. Eine politische Lösung für die Ukraine werde sicher noch Jahre brauchen.

Zwtl.: Energieunion mit Energieaußenpolitik

Fakt ist, dass Russland bis auf weiteres das Rückgrat der Gasversorgung in Europa bleiben werde. Die Energieunion strebe als Alternative zu Russland strategische Energiepartnerschaften mit Produktions- und Transitländern wie Norwegen, Algerien, der Türkei, Aserbaidschan, Turkmenistan, dem Nahen Osten oder Afrika an. "Hier sehe ich vor allem, dass Norwegen mit seinen großen Ressourcen zur europäischen Versorgungssicherheit beitragen könnte", sagte Westphal: "Damit würden auch außenpolitische Handlungsspielräume wachsen und Gas hätte in Europa eine bessere Zukunft."

Zwtl.: Wie kommt Gas nach Mitteleuropa?

Univ.-Prof. Dr. Johannes Pollak, Abteilungsleiter für Politikwissenschaften am IHS und Professor an der Webster University in Wien erklärte, dass die Ukraine als Transitland für russisches Gas nach Europa zunehmend an Bedeutung verliere. Pollak: "Russland baut schon seit vielen Jahren andere Versorgungsrouten nach Europa auf. Auch um einen Versorgungsengpass wie 2009 bei Lieferungen nach Europa zu verhindern." Alternative Transportrouten wie zum Beispiel die Nord Stream Pipeline und massive Anmietung von Gasspeicherkapazitäten in Westeuropa reduzieren die Abhängigkeit von der Ukraine als Transitland in den Wintermonaten.

Eine strategisch wichtige Frage der EU-Energiepolitik - und auch Österreichs ist: "Wie wird Gas in Zukunft nach Mitteleuropa transportiert? Es sollten alle Anstrengungen unternommen werden, dass sich die EU und Russland beim Thema South Stream/TurkStream einigen." Gelingt dies nicht, so muss sich Europa zügig auf den Ausbau des südlichen Gaskorridors einigen "und dabei aus dem Scheitern von Nabucco lernen". Dabei wird die Rolle der Türkei als zentrales Transitland in den kommenden Jahren eine wichtige Rolle spielen. Faktum ist, dass die EU und Russland auch weiterhin in einem interdependenten Verhältnis stehen. "Kooperieren statt sanktionieren würde sowohl kurz- und mittelfristig eine leistbare Energieversorgung Europas sichern", sagte Pollak.

Eine einheitliche EU-Linie sei laut Pollak in der Diskussion allerdings "derzeit nicht erkennbar." Es scheint so, dass für Änderungen in der Energiepolitik und Energieaußenpolitik der Leidensdruck noch größer werden müsse. Es brauche langfristig den politischen Willen aller EU-Mitgliedsländer zu einer Energieunion zur gemeinschaftlichen Vertretung heterogener energiepolitischer Interessen. Nur ein integrierter Energiebinnenmarkt mit einer ausgebauten Interkonnektivität, Bevorratungskapazitäten und Krisenreaktionsmechanismen sowie gemeinsamer Erforschung von alternativen Energiequellen und Speichermöglichkeiten garantiere die langfristige Versorgungssicherheit Europas. Darüber hinaus ist eine grundlegende Reform des europäischen Emissionshandels zur Reduktion des steigenden Kohleverbrauchs unumgänglich.

Zwtl.: Ruf nach mehr Forschung

Pollak vermisst "Forschungsanstrengungen rund um das Thema Gas in Europa. Es ist ein großer Fehler, dass derzeit in Europa nicht mehr in die Forschung investiert wird." Denn gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprogramme könnten helfen, Effizienz und Speichermöglichkeiten von bestehenden erneuerbaren Energieformen zu steigern.

Zwtl.: Wichtiger Energieträger für den Transport

Die Experten waren sich einig: Aus Sicht des Klimaschutzes ist Gas ein wichtiger Energieträger für den Transport. Westphal: "Ich denke da an PKW, LKW oder Schiffe." Laut Stindl hat Erdgas als Kraftstoff Zukunft, auch wenn sich Gas bis dato nur in einigen wenigen Ländern als alternativer Treibstoff etablieren konnte. Abschließend waren sich alle Referenten darin einig, dass Erdgas im Energiemix in der EU eine viel stärkere Rolle einnehmen müsste.


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