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Mythen zum EnergieMarkt
FAKTENCHECK
Mehr Wettbewerb und Transparenz Mythos 2:
auf Österreichs Energiemarkt Viel zu niedrige Wechselrate
Sowohl Gesetzgeber, Sozialpartner als auch Bundesaufsichtsbe- und komplizierter Wechselprozess
hörden kritisierten in der Vergangenheit Wettbewerbsdefizite am Seit 2001 kann jeder Stromkunde und seit 2002 jeder Gaskunde
heimischen Strom- und Gasmarkt und unterstellten den Konsumen- in Österreich seinen Energieanbieter frei wählen. Diese freie Wahl des
ten, sich wenig zu bemühen, um den Anbieter zu wechseln. Doch die Energieanbieters haben seit der Liberalisierung der Energiemärkte be-
von der E-Control lang gepflegten und von den Medien gerne ver- reits mehr als 1,5 Millionen Österreicher – vom Haushaltskunden bis
öffentlichten Mythen eines schwach ausgeprägten österreichischen zum Industriekunden – in Anspruch genommen. Im Detail haben seit
Energiemarktes mit wenig Wettbewerb bekommen nun Risse. Am 9. der Marktöffnung 18 Prozent aller Haushaltskunden und 29 Prozent
Juni erörterte der Wirtschaftsausschuss des Österreichischen Parla- aller Unternehmenskunden ihren Energieanbieter gewechselt. Die
ments den Tätigkeitsbericht (III-165 d.B.) der E-Control zum Thema Wechselaktivität der Industriekunden (lastganggemessene Kunden)
Energiepolitik unter dem Titel „Mehr Wettbewerb und Transparenz auf ist noch höher. Mit 89 Prozent haben fast alle Groß- und Industrie-
Österreichs Energiemarkt“. Der von den beiden Vorständen DI Walter kunden zumindest einmal ihren Energielieferanten gewechselt und
Boltz und DI (FH) Mag. (FH) Martin Graf, MBA präsentierte Bericht repräsentieren einen höchst kompetitiven Wettbewerbsmarkt. Fast alle
bescheinigt den Konsumenten zunehmende Bereitschaft, ihren An- heimischen Strom- und Gasanbieter bieten Kunden und Interessen-
bieter zu wechseln, und belegt damit auch das Vordringen des Wett- ten einen einfachen Online-Anbieterwechsel ohne Unterschrift. Bei 80
bewerbs auf dem heimischen Energiemarkt. Im Detail wurde festge- Prozent der Stromanbieter und bei 95 Prozent der Gasanbieter wird
halten, dass der heimische Energiesektor zunehmend von Wettbewerb ein prompter Online-Anbieterwechsel angeboten. Der im Handel oder
und Transparenz geprägt ist. Neben der starken Zunahme des Ökostro- anderen Branchen übliche Standard von Online-Shoppingportalen
manteils wurde auch ein deutlicher Anstieg beim Versorgerwechsel ist auch am Energiemarkt „State of the Art“. 83 Prozent der Kunden
dokumentiert. Dennoch hat sich der Ton der Beiträge zum Thema gaben bei einer Studie im Auftrag der E-Control an, mit der Einfachheit
Wettbewerb am Energiemarkt in den Medien auch im Jahr 2015 kaum des Wechsels sehr zufrieden oder zufrieden gewesen zu sein.
verändert: Wir wollen daher im nachfolgenden Faktencheck die nach
wie vor bestehenden Mythen eines geringen Wettbewerbs am Strom-
und Gasmarkt aufzeigen und klarstellen, wie es nun wirklich um den Mythos 3:
österreichischen Strom- und Gasmarkt bestellt ist. Kaum Wettbewerb und zu wenig Service
Österreichs Strom- und Gasmarkt wird seit Jahren fehlender
Mythos 1: Wettbewerb nachgesagt. Wahr ist, dass den Wettbewerb in Österreich
Zu wenig Energieanbieter und zu wenig Auswahl heute niemand mehr leugnen kann. Der Wechsel des Energieanbie-
Die Zahl der am Markt tätigen Anbieter hat sich seit dem Jahr ters dauert 15 Minuten und ist mittlerweile genauso einfach wie der
2001 um 44 Prozent auf 173 Unternehmen erhöht. In Österreich Wechsel des Mobilfunkbetreibers. Die bereits erwähnte Tatsache, dass
gibt es heute so viele Anbieter und Produkte wie noch nie: Kunden 18 Prozent aller Haushaltskunden und 29 Prozent aller Unternehmen
in Österreich können unter 140 unterschiedlichen Stromanbietern in Österreich ihren Energieanbieter zumindest einmal gewechselt ha-
auswählen, 30 davon sind österreichweit tätig. Aus wie vielen Ange- ben, zeigt, dass die Markt- und Wettbewerbsstrukturen in Österreich
boten ein Kunde wählen kann, ist vom Wohnort abhängig. Ein Kunde bestens funktionieren. Allerdings steht in einem Wettbewerbsmarkt
in Wien etwa kann zwischen 34 verschiedenen Stromlieferanten und neben der Kundengewinnung natürlich auch die Kundenbindung an
64 unterschiedlichen Stromprodukten wählen. Am Gasmarkt gibt es vorderster Stelle. Sowohl die EU als auch die Bundesnetzagentur in
insgesamt 33 verschiedene Unternehmen, die über 40 unterschiedli- Deutschland haben festgehalten, dass die Wechselquote kein alleiniger
che Gasprodukte anbieten. Neben der Zahl der Energieanbieter steigt Indikator für das Funktionieren des Wettbewerbs ist. Der liberalisier-
auch die Menge der erhältlichen Strom- und Gasprodukte rasant. Die te Energiemarkt mit einem ausgeprägtem Wettbewerb zeichnet sich
Energieunternehmer passen ihre Produkte immer besser an die Wün- dadurch aus, dass sämtliche Marktteilnehmer einen fairen Kampf um
sche der Konsumenten an. Alleine in der ersten Hälfte des heurigen den Kunden führen. Anbieterwechsel finden in alle Richtungen statt.
Jahres hat sich die Zahl der erhältlichen Produkte um 30 Prozent Doch das Credo der Medien lautet im Sinne der Schnäppchenjäger: Foto: istock
erhöht. weg vom Qualitätsanbieter – hin zu einem alternativen Diskonter.
20 ENERGIE INSIDE NOV/15